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Verfolgung in Sachen Weihnachtsgeschichte

Erstellt von leserbrief am 19-Dec-2010 14:56 (2168 gelesen)

Als mein Freund Franz-Xaver Staudigl am 10.10.2009 starb, da war für Beratzhausen mehr als eine Epoche seiner wechselhaften Geschichte beendet.

Am Donnerstag, dem 15.Oktober 2009, zog ein Trauerzug von der Pfarrkirche zum Friedhof, der so lang war, dass er einem Lindwurm glich. Ich war vor dem Lindwurm am Leichenhaus, weil ich gleich nach dem Trauergottesdienst , der um 14.30 Uhr begann, zum Friedhof rannte, um in aller Stille und allein am Sarg von Xaver Abschied nehmen zu können. Immer lauter konnte man den Lindwurm hören, der langsam und laut die Parsberger Straße hinaufzog, um schließlich den Friedhof am Hennenberg zu erreichen.

Auf der einen Seite standen die Verwandten und Freunde der Familie Staudigl und gegenüber befanden sich die Politiker. Auf der einen Seite hörte die Liebe nimmer auf, auf der anderen Seite weinte der Regen nur. So ähnlich lautete ein Gedicht meines verstorbenen Schriftstellerkollegen. Ich flüsterte es leise vor mich hin, aber ich wurde von niemandem wirklich verstanden.
Plötzlich begann es zu schneien. Es fielen wirbelnd Flocken und seiden wehte ein nächt`ger Traum durch atemlose Stille. Auch diese Lyrik von Xaver Staudigl schien wie für diesen Moment gemacht.

Am Abend des 15. Oktober, nach dem "Gedenkweinderl" im Zehentstadl war ich allein, ich blickte aus dem Küchenfenster hinaus ins weite Juraland. Der erste Schnee hatte mit seinen großen, leichten Flocken das Land überzuckert. Es sah so aus, als ob die Schneekönigin Beratzhausen erfassen wollte, um mit ihrem kalten Arm alles Leben zu erfrieren. Den Zuckerbäckerschnee brachte das Tief "Xavier". Ich erkannte darin eine Anspielung auf den Namen Xaver und freute mich über die französische Schreibung, da doch Franz-Xaver Staudigl Träger der Ehrenmedaille des französischen Senats war und viel für die Aussöhnung mit Frankreich tat.

In den letzen Tagen des Monats August 2009 habe ich Xaver im Beratzhausener Altenheim besucht. Er hatte eine künstliche Hüfte bekommen, weil er aus dem Bett gefallen war und er saß in einem Rollstuhl, der einem Panzer glich. Mit diesem Panzer hätte ich ihn am liebsten ins Rathaus gefahren, damit er dort wieder die Macht übernehmen könnte, denn - dies war die Tragik des Ortes - keiner seiner Nachfolger konnte ihm das Wasser reichen.

Xaver meinte zu mir : "Spinnst jetzt ?" Er klagte über das Leben als Bürgermeister. "Es gibt kaum etwas Schlimmeres - als wenn du auf einen Altweibergeburtstag musst. Du machst die Haustür auf und es stinkt nach Kraut und Kaichln. Du möchtest gehen und du weißt doch, du musst da rein." Mit dem Gratulieren, was manchem seiner Nachfolger viel Spaß machte, hatte es Xaver nie. Er regierte Beratzhausen und hielt sich - so gut er es vermochte - von den Niederungen fern. Trotzdem holten ihn die Niederungen immer wieder ein.

Von Zeit zu Zeit denke ich an eine besondere Gemeinheit, mit der man einst versucht hatte, Franz-Xaver Staudigl aus dem Weg zu räumen. In seinen letzten Jahren als Bürgermeister Beratzhausens hatte Xaver einst ein modernes Weihnachtsgedicht im gemeindlichen Mitteilungsblatt veröffentlicht, das - falls ich mich richtig erinnere - von einem Schriftsteller mit Namen Reding stammte, der sogar ein studierter Theologe war. In dem Gedicht ging es darum, dass Jesus ein Arbeiterkind war, aus einfachen Verhältnissen stammte und nicht von Geburt an auf Rosen gebettet war.

Es ist vielen Leuten bekannt, dass Politik ein dreckiges Geschäft ist, aber das Maß an Heuchelei, mit dem man damals versuchte, Bürgermeister Staudigl zu vernichten, das empört mich noch heute, obwohl ich zu der Zeit, in der sich die Vorgänge ereigneten, noch fast ein Kind war.

Es begann ein Vernichtungsfeldzug gegen Xaver Staudigl, da man ihm vorwarf, das Mitteilungsblatt für Zwecke der Gotteslästerung zu missbrauchen. Xaver Staudigl befand sich in der Situation, in der man sich entschuldigen muss, obwohl man nicht weiß, warum dies so sein muss. Schließlich erhielt er an Heiligabend telefonisch sogar eine Art Morddrohung, wie er mir später einmal erzählte. Am Gipfel der Auseinandersetzung zog Xaver für eine Woche in ein Hotel bei Riedenburg, da er sich in Beratzhausen nicht mehr halten konnte. Deutschlandweit berichtete man in den Zeitungen über den Bürgermeister einer bayerischen Landgemeinde, der wegen einem modernen Weihnachtsgedicht fast zurücktreten musste. Der bekannte Verfasser des Gedichts telefonierte mit Xaver Staudigl, aber auch er konnte ihm nicht helfen. An einer Interpretation des Gedichts war die Volksmeinung nicht mehr interessiert, da das Urteil in den Köpfen feststand. Eine Beleidigung des Gottessohnes wollte man nicht dulden. Jedes Wort der Mäßigung galt den politischen Drahtziehern als Glaubensverrat. Vielleicht war das Gedicht auch zu intellektuell geschrieben und der Bildungsstand der Beratzhausener das eigentliche Problem. Dieses Problem hatte der "Denker" Staudigl häufiger, dass seine hochgeistigen und humanistischen Ideen gründlich missverstanden wurden.

Ich bin noch heute der Meinung, dass der Apostel Lukas durchaus Vertrauen verdient, wenn er uns die wahre Weihnachtsgeschichte überliefert. Jesus kam in Bethlehem zur Welt und nicht in Beratzhausen. Seine Eltern waren arme Leute und kein Geldadel der römischen Oberschicht. Der Stall in Bethlehem glich nicht dem Palast des Kaisers Augustus und der Ziehvater von Jesus war Josef, ein einfacher Zimmermann.

Ich weiß nicht, ob diese Tatsachen die Beratzhausener noch heute so empören wie damals und ob die Heuchler inzwischen dazugelernt haben. Für die Armen in der Welt bedeutet es unendlichen Trost, dass der Sohn Gottes auch ein Kind der Armut ist. Dies zu begreifen, das heißt, Weihnachten zu verstehen.

Immer wenn sich Heiligabend nähert, dann lese ich eine Weihnachtsgeschichte meines Freundes Franz-Xaver Staudigl. Ich begreife, dass die persönlichen Verletzungen, die Xaver wegen der Weihnachtsbotschaft erleiden musste, ihn dazu bewogen haben, die wunderschönen Weihnachtsgeschichten als Schriftsteller zu verfassen, die alle einen wahren örtlichen Hintergrund aufweisen und heute einen bedeutenden Teil unserer regionalen Literatur darstellen.

Es ist mir noch in der Gegenwart eine Ehre, dass ich bei der Veröffentlichung der Weihnachtsgeschichten meines Schriftstellerkollegen Franz-Xaver Staudigl eine gewisse Rolle spielen durfte.

Dietmar Kuffer


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