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Staudigl und das Weihwasser

Erstellt von leserbrief am 08-Oct-2010 18:57 (2310 gelesen)

laber-jura.de erhielt folgenden Beitrag mit der Bitte um Veröffentlichung:
Am 10.Oktober 2010 jährt sich der Todestag Franz Xaver Staudigls zum 1. Mal. Zu diesem Anlass veröffentlicht Dietmar Kuffer eine Erzählung, die an den bekannten Altbürgermeister und Schriftsteller erinnert.

Mein Freund Franz Xaver Staudigl war der bedeutendste Bürgermeister Beratzhausens im 20. Jahrhundert. Von 1956 bis 1984 leitete er die Geschicke der oberpfälzischen Marktgemeinde, die sich selbst gern als die Perle des Labertals sieht.

Seit dem 10. Oktober 2009 lebt er im himmlischen Beratzhausen, denn ich bin überzeugt, dass es nicht nur ein himmlisches Jerusalem gibt, weil sonst die Beratzhausener im Himmel Heimweh hätten und es einen Himmel im eigentlichen Sinne gar nicht gäbe.

Vor zwei Tagen, am 27. März 2010, hätte Xaver - so nannte ich ihn immer - seinen 85. Geburtstag feiern können.
Dies ist für mich Anlass genug, meinen Gedanken eine Zeitreise zu gestatten, die mich zurückführt ins Reich der Erinnerung.

In den Jahrzehnten unserer Freundschaft hat mir Xaver so viele Dinge erzählt, von denen ich die meisten einst mit ins Grab nehmen werde, da ich felsenfest überzeugt bin, dass man mir viele Sachen ohnehin nicht glauben würde.
Ich weiß nicht, ob man es mir abnimmt, dass es eine Bereicherung sein kann, mit einem Kommunalpolitiker befreundet zu sein, aber es gab einmal eine Zeit, in der die Politiker anders waren als heute.

Xaver war eine Person mit Ecken und Kanten, manche erinnern sich noch an seinen Blick für schöne Frauen und an seine Wertschätzung des Weißweines aus Mainfranken. In meinem Herzen sehe ich einen liebenswerten bayerischen Schlawiner, einen heimatverbundenen Schriftsteller, der mit seinen Träumen und Taten der Zeit weit voraus war und oft „nahe ans Wasser gebaut war“. Mit dieser Redewendung bezeichnet man in meiner Heimat einen Menschen, der bei aller Härte des Lebens über das Maß an Menschlichkeit verfügt, das einen Humanisten ausmacht, der durch aufrichtige Tränen im Auge menschliche Anteilnahme auszudrücken vermag.

Viele Jahre lang waren Xaver und ich in den Dörfern rund um Beratzhausen unterwegs, wo wir die Wirtshäuser aufsuchten, in denen wir stets über Kommunalpolitik und Literatur philosophischen Gedankenaustausch betrieben.
Bei einem dieser Wirtshaustreffen hat mir Xaver einmal eine Anekdote aus seiner Bürgermeisterzeit erzählt, die ich eigentlich für mich behalten wollte, da ich nicht annehmen kann, dass sie mir jeder glaubt.

Da es sich dabei um einen Schnitzer - so nennt man in Bayern ein Missgeschick - in der sonst recht erfolgreichen Bürgermeisterzeit von Xaver handelt, deshalb habe ich mir eigentlich vorgenommen, die Angelegenheit unter den Tisch fallen zu lassen.

Jetzt - so meine ich jedoch - ist die Zeit gekommen, die Geschichte niederzuschreiben, denn sie ist zu schön, um im Reich der Vergessenheit ausgelöscht zu werden.

Ich kann den Lesern nicht versprechen, dass meine Erzählung der Wahrheit entspricht, aber ich weiß mit Gewissheit, dass sie Xaver mir einst so vorgetragen hat. Ich werde mich bemühen, sie genau wiederzugeben.

Der Friedhof der Marktgemeinde Beratzhausen auf dem Hennenberg war schon seit jeher ein Politikum.
Xaver Staudigl störte sich einst als Bürgermeister an dem verkommenen Zustand des Friedhofs, denn auf nahezu allen Gräbern wurde nach seinem Ermessen „Abfallbeseitigung“ betrieben. Neben der Mehrzahl der Grabsteine lagen Glasflaschen in allen Größen und Formen, die mit Weihwasser gefüllt waren. Teilweise verwendete man alte Melissengeistflaschen, aber auch Ketchup- und Parfumflaschen erfreuten sich reger Beliebtheit. Nur gelegentlich verspürte man den Takt, die Etiketten von den Flaschen abzuwaschen, was die Unordnung auf dem Friedhof nur noch schlimmer machte.

Heute haben die Beratzhausener vornehme Weihwasserkessel auf ihren Gräbern, die oft mit einem kunstvollen Deckel versehen sind und so auch in anderen Orten üblich geworden sind.

Ich selbst weiß jedoch noch aus meiner Kindheit, dass es das Chaos mit den Glasflaschen aller Art auf den Gräbern einst wirklich gab.

Für Xaver war es ein wichtiges Ziel seiner Kommunalpolitik, für Ordnung auf dem Friedhof zu sorgen.
Deshalb war es für ihn unumgänglich, die Friedhofssatzung des Marktes Beratzhausen entsprechend zu ändern, um dem Unwesen auf dem Friedhof Herr zu werden.

So kam es dazu, dass folgende Regelung erlassen wurde : „Auf dem Friedhof der Marktgemeinde Beratzhausen ist der Gebrauch des Weihwassers verboten.“

Dies ging vielen Beratzhausenern dann doch zu weit. Manche sahen das Grundrecht auf Freiheit der Religionsausübung nicht mehr gewährleistet und wandten sich mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde an die Rechtsaufsichtsbehörden, sodass der Fall schließlich auch das Bayerische Staatsministerium des Innern beschäftigen sollte.
Xaver Staudigl wurde vom Innenministerium vorgeladen und eine Dienstreise nach München wurde angeordnet.
Zu diesem besonderen Anlass zog Xaver seinen neuen Trachtenanzug an, denn ein Besuch im Bayerischen Staatsministerium des Innern war schon damals etwas Bedeutendes.

Im Innenministerium wurde Xaver Staudigl sogleich von einem - wie er es nannte - „hohen Viech“ empfangen, wobei es sich seinem Dafürhalten nach mindestens um einen Ministerialdirektor handelte.

Dieser verständnisvolle Herr begrüßte Xaver Staudigl mit den Worten : „Wir haben es hier mit sehr vielen bayerischen Bürgermeistern zu tun, aber offen gesagt, wir haben noch nie gehört, dass einer das Weihwasser verboten hat. Wie sind Sie denn darauf gekommen ?

Den ganzen Tag frage ich mich schon, wer da heute zu mir kommen wird. Ich habe anfangs wohl an einen linken Religionsgegner gedacht, aber wenn ich Sie hier so sehe in Ihrem schönen Trachtenanzug, dann bin ich schon jetzt gespannt auf Ihre Geschichte.“

Xaver Staudigl trug dem bayerischen Spitzenbeamten die Angelegenheit vor und berichtete ihm vom Zustand des Beratzhausener Friedhofs und der Schwierigkeit, die Glasflaschen von den Gräbern zu entfernen.

Der Bedienstete des Innenministeriums zeigte Verständnis für das Anliegen des Bürgermeisters und gab ihm folgende Antwort : „Ich darf Ihnen kurz schildern, wie man dieses Problem in den Städten handhabt. Ich schlage Ihnen eine bayerische Lösung vor. Es wird ein Fass aufgestellt, das mit einem Zapfhahn versehen wird. Aus diesem Fass können die Friedhofsbesucher das Weihwasser entnehmen, um dann den Weihwasserkessel auf dem Grab zu füllen. Glasflaschen bleiben verboten.“ Xaver Staudigl gab seinen Bedenken Ausdruck, dass der Beratzhausener Bauhof wohl überfordert sei, jeden Tag ein Weihwasserfass auf den Friedhof zu befördern. Der Beamte antwortete ihm mit einem Blinzeln, an das sich Xaver noch gut erinnern konnte : „Das Fass wird einfach vor Ort aufgefüllt. Danach habe in ganz Bayern noch nie einer gefragt.“ Mit diesem Blinzeln ging meinem Freund Xaver ein Licht auf, wie der Beamte das gemeint hat. Er verabschiedete sich freundlich und dankte für den ihm erteilten Rat.

Anschließend ging Xaver Staudigl ins Münchner Hofbräuhaus, um dort sein Mittagessen einzunehmen, das ihm, da es sich ja um eine Dienstreise handelte, schon von Amts wegen zustand.

Im Hofbräuhaus war man zum Beratzhausener Bürgermeister sehr freundlich und erkannte schon an seinem Trachtenanzug, dass es sich um eine bedeutende Person handeln musste. Xaver Staudigl sprach vom Innenministerium und so fragte ihn die Wirtin, ob er ein Mineralwasser zum #zensiert#ebraten trinken wolle, wenn er noch ins Innenministerium müsse. Xaver Staudigl antwortete bayerisch direkt : „Mir kann heute alles Wasser gestohlen bleiben, geben Sie mir eine Maß Bier !“

Anschließend fuhr er zurück in seine Beratzhausener Heimat, um am nächsten Tag die ihm entstandenen Reisekosten korrekt abzurechnen.

Bald wurde das kupferne Weihwasserfass gekauft, das noch heute auf dem Beratzhausener Friedhof steht, obwohl es mittlerweile schon etwas in die Jahre gekommen ist.
Die ersten Tage wurde das Weihwasserfass von einem Mitarbeiter des Beratzhausener Bauhofs bewacht, der die Reaktion der Bürgerschaft herausfinden sollte. Es zeigte sich, dass der Spitzenbeamte aus München Recht hatte. Die städtische Lösung hatte sich bewährt und wurde von den Beratzhausenern angenommen.

Schwierigkeiten machte nur der damalige Ortspfarrer Ludwig Fichtl, der anfangs aus Verärgerung über den Weihwasserzwist nicht bereit war, das Weihwasser zu weihen. Er warnte die Bevölkerung sogar, dass das Wasser aus dem Kupferfass der Gemeinde vor einer richtigen Weihe kein echtes Weihwasser sei. Xaver Staudigl drohte, das Weihwasser von einem Regensburger Pfarrer weihen zu lassen, dem er dafür 100 Mark Aufwandsentschädigung versprach. Darauf weihte Ludwig Fichtl das Weihwasser persönlich in aller Stille und wurde von Xaver Staudigl dabei beobachtet.
Es erscheint mir wie eine Buße, dass Xaver nach seiner Bürgermeisterzeit für mehrere Jahre den Vorsitz des örtlichen Wasserzweckverbands übernahm, obwohl ihm nach eigener Aussage auch in dieser Zeit der Wein stets lieber als das Wasser war. Zum Wasser hatte er zeit seines Lebens ein gespaltenes Verhältnis.

Heute frage ich mich oft, ob all die Dinge, die mir mein Freund Xaver erzählt hat, wirklich alle so passiert sind. Ich erinnere mich jedoch noch immer an seine Worte und stelle mir vor, dass er vor mir stehen würde.

Oft gehe ich am Leichenhaus auf dem Beratzhausener Friedhof vorbei und sehe das kupferne Weihwasserfass, das mein Freund Xaver einst gekauft hat. Ich gehe weiter in den oberen, neuen Teil des Beratzhausener Friedhofs, wo sich das Grab von Franz Xaver Staudigl und seiner Gattin Margit befindet. Auf dem Staudigl - Grab ist kein Weihwasserkessel, was wohl daran liegen mag, dass Margit Staudigl evangelisch war. Ich bete für meine Freunde ein „Vater unser“, weil sich das Xaver so gewünscht hat.
Ich danke ihm für alles, was er für unsere Heimat Beratzhausen getan hat und bin erleichtert, wenn mir auch einmal ein kleiner Schnitzer unterläuft.


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