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"Die Spittlkapelle" von Dietmar Kuffer

Erstellt von leserbrief am 08-Jul-2010 21:13 (2501 gelesen)

Skaliertes BildAn der Einmündung des Spitalgrabens in die Laaberer Straße steht eine kleine, unscheinbare Kapelle, die man am Ort Beratzhausen traditionell als "Spittlkapelle" kennt. Das von der Öffentlichkeit fast vergessene Gotteshaus erscheint in der historischen Karte von Christoph Vogl, die aus dem Jahre 1600 stammt, noch nicht. Heute lebende Beratzhausener wissen jedoch von ihren Vorfahren, dass es die Kapelle um 1800 schon gab. Demnach muss die Spittlkapelle zwischen 1600 und 1800 entstanden sein.

Altbürgermeister Franz Xaver Staudigl berichtete mir einst, dass die Spittlkapelle auf Gemeindegrund stehe und seines Erachtens eine Art Reisekapelle sei. Früher waren die Straßen in schlechtem Zustand und eine Reise mit der Kutsche nach Regensburg war beschwerlich. Bevor man sich am frühen Morgen auf den Weg nach Regensburg machte, da konnte man in der Spittlkapelle noch ein Gebet sprechen, um eine gesunde Rückkehr zu erbitten. Noch in den vergangenen Jahrzehnten war es bei zahlreichen Beratzhausenern üblich, ein "Vater unser" zu beten, wenn man nach dem Ende eines Arbeitstages in Regensburg oder Neumarkt zu Hause wohlbehalten ankam und die Maria - Hilf - Kirche erblickte.

Gebete von Reisenden mögen in der Spittlkapelle üblich gewesen sein, sie haben aber mit der Entstehung des Gotteshauses nichts zu tun.

Interessant ist in diesem Zusammenhang der Begriff "Spittl". Der Ausdruck "Spittl", der am Ort Beratzhausen gebräuchlich ist, zeigt, dass es einen Bezug zu einem "Spital" geben muss. Heute versteht man unter einem "Spital" wohl eher ein Krankenhaus. Eine frühere, heute veraltete Bedeutung von "Spital" weist jedoch auf ein Armenhaus oder Altenheim hin.

Das Armenhaus in der Laaberer Straße gab es einst wirklich und ältere Mitbürger erinnern sich noch an seine Existenz. Dieses Armenhaus nannte man "Spittl" und es befand sich direkt an der Laaberer Straße, gegenüber der noch existierenden Spittlkapelle. Direkt unterhalb vom "Spittl" war das alte Schwimmbad von Beratzhausen, das mitten im Zweiten Weltkrieg errichtet und vom Wasser der Schwarzen Laber gespeist wurde.
Heute sind das alte Schwimmbad und das Spittlgebäude längst verschwunden. An dieser Stelle befindet sich mittlerweile eine Parklandschaft, die sich von der Niedermühle bis zum Essenbügl erstreckt. Dieser Spittlpark erinnert noch durch seinen Namen an das einstige Armenhaus der Gemeinde, das es schon lange nicht mehr gibt. Alte Ansichten von Beratzhausen, die durch historische Fotos überliefert sind, zeigen das einstige Armenhaus des Ortes in seiner damaligen Umgebung.

In der Tat hat man alles getan, um die Spuren der Armut und Not zu verwischen, obwohl die Armut über Jahrhunderte hinweg ein ständiger Begleiter der Menschen im Oberpfälzer Jura war. Die Armenfürsorge in Beratzhausen ist ein wesentlicher Teil der örtlichen Sozialgeschichte und noch heute durch recht umfangreiche Akten im Archiv des Marktes Beratzhausen zu belegen. Diese Unterlagen wurden von Robert Dollinger 1966 im Rahmen der Feiern "1100 Jahre Beratzhausen" geordnet.

Die soziale Ausgrenzung der Armen kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Arme erhielten ein "Kosthaferl" und ein "Kostbücherl". Die Beratzhausener Bürger waren verpflichtet, in regelmäßigen Abständen arme Mitbürger zu einer Mahlzeit aufzunehmen. Diese Pflicht wurde durch Eintragungen im Kostbücherl dokumentiert. Dem Bittsteller musste das Kosthaferl bis zum Rand mit Nahrung gefüllt werden, damit das Überleben ermöglicht werden konnte. Darauf hatte der Arme einen Anspruch. Manche Beratzhausener sahen die Armen als "lästige Mitesser" und nur wenige bereiteten ein Fleischgericht zu, wenn ein armer Mitbürger zum Essen zugeteilt war. Manche gaben den Armen aus Geiz nur eine billige Mehlspeise, während andere großzügig waren und einen am Familientisch sitzenden armen Mitbürger anständig ernährten. In dieser Zeit der Armut konnten sich Menschlichkeit und Nächstenliebe bewähren.

All dies muss man wissen, wenn man über das Spittl, das Armenhaus von Beratzhausen, redet.

Skaliertes BildHeute erinnern die Spittlkapelle und die Straßenbezeichnung "Spitalgraben" an das ehemalige Armenhaus. Nicht verwechseln darf man das Spittl mit dem "Hüthaus", dem ehemals ersten Haus der Parsberger Straße, das sich oberhalb der Einmündung der Wassergasse befand. Auch im Hüthaus war die soziale Not zu Hause, aber trotzdem bestand in der Selbsteinschätzung der Bewohner ein erheblicher Unterschied. Wer Tiere hüten musste oder einfache Tätigkeiten für die Gemeinde ausübte, der konnte auf die Bewohner im Spittl hinabblicken, die in den Augen mancher nur Bittsteller waren.

Von der Fürsorge der Gemeinde zu leben, das galt vielen Bürgern als Schande. Ausgrenzung, Spott und soziale Verachtung ersetzten in der Wirklichkeit oft das fehlende Mitgefühl.

Über Jahrzehnte hinweg stand zwei Meter hinter der Spitalkapelle ein turmartiges Gebäude, das der örtlichen Stromverteilung diente. Bei dessen Abbruch in den Jahren nach der Jahrtausendwende wäre die Spittlkapelle fast zerstört worden. Es ist ein kaum bekannter und bemerkter Erfolg der Heimatpflege, dass dies verhindert wurde.

Über die Entstehung der Spittlkapelle gibt es bis heute keine am Ort bekannten Aufzeichnungen. Die Spittlkapelle scheint nicht der Pfarrei Beratzhausen zu gehören, da sie wohl im Besitz der Gemeinde ist. Diese Besitzverhältnisse belegen einen gewissen Zusammenhang mit dem ehemals ebenso gemeindlichen Armenhaus.

Xaver Gassner aus Beratzhausen erinnert sich an seine verstorbene Tante, die ihm einst die Geschichte der Spittlkapelle erzählte. Der Zusammenhang von Spittl und Spittlkapelle zeigt sich dadurch in neuem Licht.

Schlechte Hygiene und unzureichende Ernährung waren das Gesicht der Armut zu allen Zeiten. Es fehlte an Aufklärung über die Gesundheit und die Diagnosen der Krankheiten waren ungenau. Im Totenschein tauchte oft der Begriff "Auszehrung" auf, weil man die wirklichen Krankheitsursachen kaum kannte. Die medizinischen Befunde waren wenig konkret und oftmals suchte man mystische Erklärungen für Krankheiten.

Offenkundig lebte vor langer Zeit eine Frau im Spittl, die zahlreiche Flecken auf der Haut hatte. Später bekam eine Bürgersfrau auch Hautflecken, so dass es sich wohl um eine ansteckende Krankheit handelte.

Die Bürger waren nicht wirklich reich, da sie ihren Lebensunterhalt durch eine Kombination aus kleiner Landwirtschaft und Handwerk verdienten. Franz Xaver Staudigl nannte diese Mitbürger "Ackerbürger". Die von Hautflecken geplagte Bürgersfrau war im heutigen Sinne nicht wohlhabend, aber trotzdem legte sie ein Gelübde ab. Sie versprach, gegenüber vom Spittl eine Kapelle zu bauen, wenn die Flecken auf der Haut verschwinden. Die Kapelle hatte wohl auch die Aufgabe, die Seuchen zu bannen, die immer wieder im Armenhaus ausbrachen. Es galt, die Verbreitung der Krankheiten zu begrenzen, da man anscheinend meinte, dass Not ansteckend sei. Tatsächlich vergingen die gefürchteten Hautflecken und so kam es zur Errichtung der Spittlkapelle.

Bei den Flurumgängen der Vergangenheit ging man früher von der Maria - Hilf - Kirche über den Lammhof zum Franzenkircherl. Weitere Stationen waren die Kapelle in Neuhöfl und das Köpfkircherl. Die Spittlkapelle diente nach der Zerstörung des alten Köpfkircherls - so erinnern sich Zeitzeugen - als letzte Station vor der Pfarrkirche. Das historische Köpfkircherl ist längst verschwunden und durch einen Neubau ersetzt. Die historische Kapelle in Neuhöfl wurde ein Opfer staatlicher Straßenbaumaßnahmen im Jahre 2009. Neben dem Franzenkircherl gibt es nur noch die Spittlkapelle als stummen Zeugen jener Flurumgänge.

Xaver Gassner erinnert sich, dass 1965 einer der letzten Flurumgänge war. An diesem Tag wurde auch das Pumpwerk in der Mühlenstraße abgerissen, das mit Dampfkraft Wasser aus der Schwarzen Laber zur Bahnlinie transportiert hat.

Ältere Bewohner des Essenbügls und des Maria - Hilf - Bergs wussten noch eine andere Ursache für die Entstehung der Spittlkapelle. Im Spittl gab es einst eine Totenkammer, eine Art Sterbezimmer. Dieser Raum wurde bei Bedarf auch als Ort für die Untersuchung einer Leiche im Rahmen einer amtlichen Leichenschau verwendet. In dieser Totenkammer habe einst eine Magd ein Kind zur Welt gebracht. Da die Geburt sehr schwierig war, so leistete sie ein Gelübde, gegenüber vom Spittl eine Kapelle zu errichten, falls sie und ihr Kind nicht sterben würden. Weil Mutter und Kind gerettet wurden, so sei es zur Errichtung der Spittlkapelle gekommen. Diese Erzählung scheint jedoch wenig glaubwürdig, da eine arme Magd kaum in der Lage gewesen wäre, die Errichtung einer Kapelle zu finanzieren. Der soziale Unterschied zwischen einer Magd und einer Bürgersfrau war groß.

Die Spittlkapelle ist ein Stück Beratzhausener Geschichte. Sie erinnert an das längst verschwundene Armenhaus, an Not und Seuchen. Das Gotteshaus berichtet schweigend vom religiösen Leben in der Vergangenheit. Die Spittlkapelle stellt eine Mahnung dar, dass es die höchste Form menschlicher Kultur ist, wenn es allen Menschen gut geht.


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